Predigt zur Eröffnung der Wallfahrt 1. Mai 2018
von P. Franz Richardt ofm
Johannes 14, 1-12
Das Motto der diesjährigen Wallfahrt zum Hülfensberg ist das Motiv des Weges.
Wenn es keinen Weg gäbe, wären Sie jetzt nicht hier. Immer, wenn wir von A nach B kommen wollen und nicht fliegen, brauchen wir einen Weg, einen vorgebahnten, den schon viele Generationen vor uns gegangen sind oder einen Weg, den wir uns selber erst bahnen müssen.
Sie sind auf alten Pilgerwegen nach hier gekommen. Sie stehen in damit in Verbindung mit vielen vielen tausend Menschen, die vor ihnen diese Wege gegangen sind, mit vielen hunderten, die heute den Weg mit ihnen hier zum Kreuz auf dem Hülfensberg gegangen sind.
Ich bin der Weg.
Zwei Texte – zwei Pilgerberichte: In der Apostelgeschichte zu dem Finanzbeamten der äthiopischen Königin Kandake und zu dem Weg, den Jesus zum Vater im Himmel genommen hat.
Zum ersten Text:
- Rat: Lasst euch nicht verwirren!
- Offensichtlich Voraussetzung: Wir leben in einer Welt, in der es zu Verwirrung kommen kann
- Politische Entwicklung: Schwarz-Weiß-Positionen – Durcheinander von Problemen
- Weltpolitisch: Verfestigung von Gegensätzen, Aufbau neuer Gegensätze
- Persönlichen Lebensraum: Unglücke, Entwicklungen
- Viele neue Meinungen: Welche ist richtig
- Viel Arbeit: Manchmal weiß ich nicht mehr, wo ich dran bin.
- Verwirrungen: Lass dich nicht verwirren
- Glaubenswirklichkeit, Schwindende Zahlen. Was mir wichtig war, ist anderen nicht mehr wichtig.
- Skandale in der Kirche
- Verwirrung: Lass dich nicht verwirren!
Es überrascht vielleicht oder vielleicht auch nicht, dass die große Abschiedsrede Jesu beginnt (14, 1) und schließt (16, 33) mit der nüchternen Feststellung, dass wir bedroht sind von Verwirrung und Angst. Die von außen kommende Bedrängnis spiegelt sich in der Beunruhigung und Verwirrung des Herzens.
Herz: innerer Motor, Sitz der Liebe
In der Bibel: Sitz der Weisheit, der Unterscheidung, der Erkenntnis und der Entscheidungsfähigkeit.
Das Herz hat manchmal andere Gründe als der Verstand
Wenn das „Herz", die unserer vollen Erkenntnis und unserem Willen unzugängliche Tiefe unseres Wesens, verwirrt wird, dann ist diese an die Wurzel gehende Beunruhigung durch gutes Zureden und durch einen Appell an den vernünftigen Willen nicht zu heilen.
Wenn trotzdem auch hier der Rat gebraucht wird („Lasset euch nicht...!"), so wird offenbar hier eine Möglichkeit angeboten, diese Verwirrung in Klarheit und in getrosten Mut zu wandeln, und die Angeredeten werden dafür verantwortlich gemacht, dass sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Es ist das Wort: Glaubt an Gott und glaubt an mich!
Please, hold the line – bitte, halten Sie die Verbindung. Das ist ein wesentlicher Schritt, den Sie als Wallfahrer tun, sich auf den Weg machen, Mühen auf sich nehmen und hier beten, hier die Verbindung mit Gott pflegen, wie Sie das auch sonst im Fluss des Jahres tun.
Die Überwindung der Angst, die Ordnung des in Verwirrung geratenen Seelengrundes ist das große Thema der Abschiedsrede Jesu, ja das höchst aktuelle Thema des Evangeliums überhaupt; und zwar geschieht diese Heilung allein durch „Glauben", d. h. durch die vertrauensvolle Hingabe und Anteilnahme an dem Christusereignis, in dem Gottes eigenes Wesen unter uns Gestalt gewinnt. Also nicht die stoische Unbewegtheit und Unerschütterlichkeit des Gemütes, sondern die vertrauensvolle Teilnahme an einem Lebensprozeß ist das christliche Gegenbild des erschrockenen und verwirrten Gemütes.
Schon rein menschlich ist es eine große Aufgabe, sich mit der Angst auseinanderzusetzen. Der Traumatherapeut Georg Pieper, der an vielen Stellen dieser Erde bei Großschadenslagen anwesend war und Menschen geholfen hat, aus Traumatisierungen und Ängsten herauszukommen, hat als eine Grundregel gesagt: Es kommt im Leben darauf an, im Fluss des Lebens schwimmen zu lernen. Schicksalsschläge sind dann am besten zu bewältigen, wenn wir unser Leben als unberechenbaren Fluss akzeptieren, wenn wir geübte Schwimmer sind und auch schon eine gefährliche Stelle bewältigt haben. Wenn wir das Schwimmen gar nicht gelernt haben oder unsere Kräfte in zu vielen Stromschnellen aufgebraucht haben, drohen wir unterzugehen.
Wir haben Widerstandskräfte in uns. Sie gründen auf drei Elementen:
- Engagement und Verantwortungsgefühl: sich aktiv einbringen, Verantwortung übernehmen für Personen und Sachen und dies auch zeigen.
- Das Gefühl von Kontrolle: dieses entsteht aus dem Glauben an die Selbstwirksamkeit heraus, den Verlauf der Dinge zumindest mit beeinflussen zu können.
- Herausforderung: Aufgaben, die auf einen zukommen, in erster Linie nicht als Störung oder unüberwindbare Hindernisse auffassen, sondern als Herausforderung, die man akzeptieren und sogar gerne annimmt.
Unser Leben gelingt eher, wenn wir den Eindruck haben, die Dinge zu verstehen. Die Welt ist nachvollziehbar, geordnet und erklärbar und erscheint nicht unergründlich, willkürlich und schicksalhaft.
Unser Leben gelingt eher, wenn wir den Eindruck haben, wir können die Dinge mitgestalten. Wir verfügen über Ressourcen, mit dem wir anstehende Probleme gelöst haben und also wohl auch in Zukunft lösen können.
Und unser Leben gelingt eher, wenn wir den Eindruck haben, die Dinge des Lebens, generell unser Leben macht Sinn, es hat Bedeutung, es ist auch mit Niederlagen, Schwierigkeiten und Rückschlägen immer noch lebenswert.
Glaubt an mich: Please, hold the line!
Mut zum Glauben:
Beispiel: Andreas Böcking, stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung
Erlebnis der Kriseninterventionsgruppe aus dem Allgäu nach dem Erdbeben auf Haiti: Jeden Morgen erst persönliches Gebet.
Sein Rat: Macht euch fest an glaubwürdigen Zeugnissen. Schämt euch nicht, euch als Christen zu bekennen
Lebt im Vertrauen auf Gott, der euch eine Wohnung bereitet hat, die euch für ewig aufnimmt.
Beispiel: Golden Gate Bridge: Die Golden-Gate-Brücke in San Francisco, eins der meist fotografiertesten Bauwerke der USA. Eine 11 Kilometer lange Hängebrücke über den Pazifik in der Einfahrt der Bucht von San Francisco. Die Brücke wird von zwei riesigen Pfeilern getragen, von denen jeder 227 Meter hoch ist. Die Fahrbahn liegt 67 Meter über dem Wasser. Bei Neben sieht man nur einen Pfeiler. Der andere liegt unsichtbar im Nebel. Auch die Stadt San Francisco ist nur weit entfernt zu erahnen. Und mir wird deutlich: Der Weg in die Zukunft und unser aller Lebensweg wird durch zwei gewaltige Pfeiler gehalten und getragen. Auch wenn ich den zweiten Masten nicht sehe, weiß ich doch, dass er da ist, weil Jesus Christus selbst davon spricht, auch in unserem Bibeltext.
Den ersten Pfeiler haben wir uns in diesen Tagen vor Augen, wenn wir an das Leben Jesus denken, an seine Worte und Taten. Und der zweite Pfeiler, der nach dem Tod und der Auferstehung Jesu kommt, ist seine Wiederkunft. „Ich werde wiederkommen“, sagt Jesus. Es ist das zweite Kommen Jesu am Ende der Zeit, wenn er abwischen wird alle Tränen von unseren Augen und der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid, Geschrei und Schmerz.
Wir haben eine Hoffnung, die uns Mut macht, auch wenn wir Bitteres und Trauriges erleben. Eine Hoffnung, die uns aufrichtet, auch wenn vieles uns niederdrückt. Eine Hoffnung, die uns Zukunft eröffnet: Gott erwartet uns mit ausgebreiteten Armen. Er hat für uns eine Wohnung, wörtlich übersetzt: eine Bleibe, ein ewiges Zuhause. Was für eine Perspektive!
Wir mögen nicht immer diese Wohnung im Blick haben, selbst wenn wir eine Wallfahrt unternehmen. Es mag uns gehen wie dem Kämmerer der Kandake, von dem wir in der Lesung gehört haben. Er war in Jerusalem zur Wallfahrt, hat aber wohl kein großes Erlebnis gehabt. Er ist auf dem Heimweg, fährt durch eine Gegend, die öde ist. Vielleicht ist diese Bezeichnung „öde“ auch ein Hinweis auf seinen inneren Zustand. Er liest die Schrift und versteht sie nicht. Gott schickt ihm den Apostel Philippus. Manchmal schickt uns Gott unerwartet Leute, die uns auf unserem Weg weiterhelfen. Und dann heißt, dass Wasser da ist und der Kämmerer getauft werden kann. In Gaza gibt es normalerweise kein Wasser, keinen See. Hier ist es auch im übertragenen Sinn gemeint. Manchmal gibt es Zufälle, die alles in einem anderen Licht erscheinen lassen. So auch hier. Und dann heißt es von Kämmerer: Er zog seine Straße weiter: fröhlich. Vielleicht bereitet Gott jetzt schon etwas für uns vor, wo wir noch gar nicht soweit sind. Vielleicht bereitet Gott jetzt schon irgendwo und irgendwann eine Begegnung für uns vor, die uns aufheitert, fröhlich macht und unseren Weg frohgemut weitergehen lässt. In diesem Sinn bekommen wir Kraft für unseren weiteren Weg zur Wohnung Gott. Gott steht nicht nur am Ende unseres Weges, sondern geht unseren Pilgerweg mit, indem er uns Gutes und gute Menschen zuführt.
Und immer steht Jesus zu uns, der sich nennt: der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Nicht wir sind der Weg, sondern wir verfügen über das Privileg, auf dem Weg, in der Spur Jesu wandeln und viele mitnehmen zu können.
Nicht wir sind die Wahrheit, sondern wir können uns in der notwendigen Auseinandersetzung um Wahrheit an Jesu Botschaft orientieren, verfügen über Wegweiser, die uns gut geleiten.
Nicht wir sind das Leben, sondern wir können an Jesu Wirken, Leiden, Auferstehen teilhaben und darum sehr viel zum sinnerfüllten Leben beitragen.